Niederländische Zwangsarbeiter_innen in Leipzig und bei der HASAG
- in Kooperation mit Stef Beumkes (siehe: HASAG, Leipzig) -
In der im November eröffneten Ausstellung "Im Provisorium. NS-Zwangsarbeit in Leipzig und beim Rüstungsbetrieb HASAG" wird das Königspaar zahlreiche Fotos und Objekte sehen, die Angehörige ehemaliger niederländischer Zwangsarbeiter der Gedenkstätte in den letzten Jahren übergeben haben. Für diese Familien ist die GfZL heute ein wichtiger Anlaufpunkt auf den Spuren ihrer Vorfahren.
Die HASAG, auf deren ehemaligen Gelände sich heute die Gedenkstätte für Zwangsarbeit befindet, war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs der größte Betrieb Sachsens und entwickelte sich schnell zu einem der wichtigsten Rüstungsproduzenten für das Deutsche Reich. In Deutschland und im besetzten Polen wurden zahlreiche Zweigwerke errichtet, in denen zehntausende Zwangsarbeiter_innen und später auch KZ-Häftlinge Waffen und Munition herstellen mussten.
Beim Hauptwerk der HASAG waren schätzungsweise mehrere hundert Zwangsarbeiter_innen aus den Niederlanden eingesetzt. [2] Sie waren in mehreren Lagern untergebracht, die sich zum Teil direkt auf dem Werksgelände an der Hugo-Schneider-Straße (heute: Permoser Straße) befanden. Das dortige Gemeinschaftslager für Niederländer in einem Fabrikgebäude wurde nach dem nordholländischen Fluss "Amstel" genannt. Eine andere Unterkunft hieß wie eine Stadt in den Niederlanden: Haarlem (bzw. "Harlem"). Weitere Quartiere für niederländische Zwangsarbeiter_innen der HASAG befanden sich im Stadtgebiet. [3]
In in der Bautzner Straße, in unmittelbarer Nähe des Werkes, befand sich ab Juni 1944 das KZ-Außenlager "HASAG Leipzig", das größte Frauen-Außenlager des KZ Buchenwald (Buchenwald Memorial ' Gedenkstätte Buchenwald). Auch in diesem Lager waren Niederländerinnen inhaftiert. Eine Aufstellung vom 1. März 1945 verzeichnet drei "Holländische Jüdinnen" unter den ca. 4800 dort gefangen gehaltenen Frauen. [4]
[2] Genaue Zahlen liegen bislang aufgrund der lückenhaften Quellenlage nicht vor.
[3] Thomas Fickenwirth/Birgit Horn/Christian Kurzweg: Fremd- und Zwangsarbeit im Raum Leipzig 1939-1945. Archivalisches Spezialinventar, Leipzig 2004, S. 288-289.
[4] Monatsmeldung des F.K.L. Buchenwald Arbeitskomm. Hasag, 1.3.1945, ITS Digitales Archiv, 1.1.5.1/0183-356/0323A/0119 (International Tracing Service - ITS)
[5] Das Fotoalbum und der Fotoapparat wurden der Gedenkstätte im Jahr 2013 von Anne Hekkelmann, der Schwiegertochter von Gerrit-Jan Jochems übergeben.
[6] Vgl. hierzu auch Anne Friebel/Sebastian Schönemann: Unfreiwillige Freizeit. Das Völkerschlachtdenkmal in den Privatfotografien von NS-Zwangsarbeiterinnen, in: Newsletter des Fördervereins "Dr. Margarete Blank"
Der heutige Besuch des Niederländischen Königspaares ist nicht nur eine große Ehre für die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig (GfZL) und deren Förderverein "Dr. Margarete Blank" e.V., sondern zugleich ein Höhepunkt der guten Kontakte der Gedenkstätte in die Niederlande.
Erst in diesen Tagen erreichte uns durch Stef Beumkes, dessen Vater während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeit bei der Hugo Schneider AG (HASAG) in Leipzig leisten musste, ein bislang unbekanntes Foto. Anlässlich des Besuchs des Niederländischen Königspaares präsentieren wir das Bild heute erstmals öffentlich. [1] Es zeigt niederländische Kriegsgefangene in einem Barackenlager der HASAG in Leipzig. Sie waren hier von Januar bis Oktober 1944 zur Zwangsarbeit eingesetzt. In der hinteren Reihe als zweiter von links steht Luuk Kujik, aus dessen Unterlagen das Foto stammt. Auf der Rückseite notierten die anderen Männer ihre Unterschriften sowie die Zeit ihres Aufenthaltes im Lager der HASAG.
Tausende Männer und Frauen aus den Niederlanden mussten zur Zeit des Nationalsozialismus in Leipzig und umliegenden Gemeinden Zwangsarbeit leisten. Sie wurden unter anderem in Rüstungsbetrieben und bei deren Zulieferern, in der Privatwirtschaft, bei der Reichsbahn oder bei den Stadtwerken eingesetzt.
Viele der zivilen niederländischen Zwangsarbeiter der HASAG waren seit dem Jahr 1942 in Leipzig. Sie mussten 60 Stunden pro Woche in der Produktion von Munition und "Panzerfäusten" arbeiten. Die Möglichkeiten zur Gestaltung der "Freizeit", ihre Arbeits- und Lebensbedingungen verschlechterten sich während des Krieges zunehmend. Neben der beengenden Zwangssituation und permanenten Repressionsdrohungen ging eine Gefahr für sie auch von alliierten Luftangriffen aus, vor denen sie weniger schützen konnten als die deutsche Bevölkerung. Nach Kriegsende wurden viele niederländische Zwangsarbeiter_innen in einem Lager für "Displaced Persons" in Leipzig-Schönau einquartiert und von dort kurze Zeit später in ihre Heimat gebracht.
Ein zentrales Dokument zur Geschichte der HASAG im Nationalsozialismus, welches auch dem Königspaar bei seinem Besuch präsentiert wird, ist das Fotoalbum von Gerrit-Jan Jochems. [5] Er war im Jahr 1942 gemeinsam mit einer Gruppe anderer Männer aus dem niederländischen Loenen zur Zwangsarbeit nach Leipzig gebracht worden. Bei sich hatte er einen Fotoapparat, der ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist. Damit fertigte er einige Bilder an, auf denen er bestimmte Momente aus der Lebenswelt niederländischer Zwangsarbeiter in Leipzig festhielt. [5] Nach Kriegsende konnte er auch etliche offizielle Fotografien aus dem Firmenarchiv der HASAG mit in die Niederlande nehmen. Aus diesen Propagandabildern, von ihm selbst geknipsten Fotos, Ausschnitten aus der Werkzeitschrift "Unsere Hasag" und weiteren Dokumenten fertigte er ein umfangreiches Album an und kommentierte die Fotos mit eigenen Bildunterschriften. In der Ausstellung wird erstmals eine komplette, historiographisch kommentierte Reproduktion dieses Albums einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Wir freuen uns auf den Besuch des Het Koninklijk Huis!
[1] Herzlicher Dank gebührt der Familie von Luuk Kuijk, die uns das Bild zur Verfügung stellte sowie Stef Beumkes für sein unermüdliches Engagement und die Übermittlung des Fotos. Seine Homepage zu niederländischen Zwangsarbeiter_innen bei der HASAG:
https://wij-moesten-naar-duitsland99.webnode.nl/